2009, TU Dresden, Altana Galerie
Katrin Heesch – Katalogtext zur Ausstellung color continuo, TU Dresden, 2009
Wegweisungen im Kosmos der Farben – Zu Katrin Heeschs poetischen Farbschichtungen
Dem schnellen, auch dem immer schon wissenden und leichtfertig urteilenden, dem kategorisierenden und solchermaßen partiell blinden Blick wird nichts augenfällig. Er erreicht nicht einmal die Oberfläche der im ersten Moment so eindeutig erscheinenden, vermeintlich so einfach zu erklärenden Gemälde. Er wäre der erste Schritt zum Missverständnis einer Malerei voll rätselhafter Tiefe, beseelt von einer besonderen Ausstrahlung, die dann doch auch den Eiligen anhält zu verweilen, sich Zeit zu nehmen, sich den breitformatigen Flächen voll farbiger Streifen – sind es Muster? sind es Strichcodes? – zu nähern, sie zu entschlüsseln.
Der unbefangene Blick eines Flaneurs voll erwartungsloser Neugier ist vielleicht die angemessene Haltung, den Gemälden von Katrin Heesch zu begegnen, sich von ihnen überraschen und einfangen zu lassen.
Ein Spiel beginnt, das Sinne und Verstand gleichermaßen anregt, das Neugier weckt, das im Substantiellen, im Stofflichen, in der Materialität der Malmittel wie auch im Konzeptionellen der Malerei und der Ausformulierung der Bilder eine Menge an Überraschungen bereit hält, von denen das irritierend Gegensätzliche des „sofort klar erkennbar“ und des „was steckt eigentlich dahinter“ nur den ersten Schritt markiert, gleichsam die Eingangspforte öffnet zu einer Entdeckungsreise durch Katrin Heeschs Kosmos der Farben.
Eigenwillig extreme und zudem ungerahmte Querformate kontrastieren mit der Abfolge schmaler horizontal übereinander angeordneter Farbstreifen. Beide Richtungen, horizontal und vertikal, zwingen dem Auge anfänglich eine unstete Bewegung auf, veranlassen den Blick zu wandern, einen Fixpunkt zu suchen. Diesen konkreten Halt verweigern die Bilder jedoch, bieten aber, wenn man die Suche danach aufgegeben hat und das Auge zur Ruhe kommen lässt, einen Ruhepol eigener Art, der gleichsam in der Tiefe der Bilder liegt und, im metaphorischen Sinn, ihre Mitte darstellt.
Die Empfindung von Tiefe und endloser Weite kommt nicht von ungefähr, assoziiert man in vielen der Bilder doch so etwas wie einen in der Ferne liegenden Horizont, die Weite einer Landschaft oder eines Meeres, zumindest die eines wie auch immer gearteten Raumes. Ausgelöst wird die Tiefenempfindung von der Art, wie die Farben und Farbverläufe angeordnet und aufeinander abgestimmt sind und wie sie miteinander korrespondieren. So bilden sich Zonen der Helligkeit wie der Dunkelheit, Felder leuchtender und Felder gedämpfter Farbigkeit. Sanften Farbnuancen antworten Farbkontraste, die nach vorne drängenden Farben finden in denen, die in die Tiefe sinken, ihr Gegengewicht. Die Vielfalt farbiger Intervalle auf der Bildfläche, die im Bildraum zu pulsieren scheinen, verschmilzt im Kontext des betont horizontalen Formats und der vertikalen Staffelung der Farben zu einer Art schwingendem Gleichgewicht. So formt sich die besondere Mitte dieser Gemälde, ihre Ausgewogenheit, Klarheit und Ruhe. Und es bedarf eigentlich nicht der Assoziationen konkreter Dinglichkeit, von Landschaft oder Raum, um jenes Sinne und Wahrnehmung anregende Potential der Malerei von Katrin Heesch genießen zu können.
Gegenständliches erkennen und daraus Erklärungen und Interpretationen ableiten zu wollen, diese Betrachtungshaltung wäre nur eine Hilfskonstruktion, die von der eigentlichen Thematik der Bilder, der Farbe und ihrer Interaktion sowie ihrer ästhetisch-sinnlichen Qualität, ablenkt. Gegenständliche Festlegungen würden das freie und intensive Spiel der Farben gefrieren lassen.
Katrin Heeschs Bilder erfordern die Bereitschaft, vielleicht sogar Mut, sich auf die, im positiven Sinne, Bedeutungslosigkeit ihrer Werke einzulassen, auf erlernte Erklärungsmuster zu verzichten und sich am Beispiel dieser Bilder generell den Grundfragen der Malerei zu nähern, nämlich dem Agieren mit Farbe auf der Fläche und ihrer Formwerdung im Bildraum. Unbeschwert von Inhalten kann sich der Gehalt der Farbe entfalten, können die einzelnen malerischen Mittel und Schritte als schöpferische Elemente der Gesamtkomposition unmittelbar wahrgenommen werden.
Die drei „Wegmarken“, die Horizontale, die Vertikale und die in die Bildtiefe schwingenden Schichtungen und Modulationen, gleichsam das Spannungsfeld aus Vorder- und Hintergründigem, helfen bei diesem Wahrnehmungsprozess. Sie regen den Betrachter an, immer wieder einen Standortwechsel vorzunehmen, heran- und zurückzutreten, zu wechseln zwischen Nahsicht und Fernsicht. Sie halten ihn in der Schwebe zwischen Annäherung und Distanz, zwischen unmittelbarem Eintauchen und wissbegieriger Analyse. Denn das „Was ist zu sehen“ wird sofort begleitet von der neugierigen Frage „wie ist es entstanden“.
Doch der Blick auf das, was zu sehen ist und die Überlegung, wie es denn zu dem gekommen ist, was sich auf der Bildfläche ereignet, stellen nicht nur Fragen nach den Grundlagen der Malerei Katrin Heeschs, sie lenken generell den Blick auf eins der Leitthemen der Kunst, das seit der klassischen Moderne bis in die Gegenwartskunst virulent geblieben ist.
Seit Beginn künstlerischer Äußerungen dienen Farben dazu, die Welt der Dinge, der Wesen und der Phantasie abzubilden und erkennbar werden zu lassen sowie ihnen ihre Bedeutung und Deutung zuzuschreiben. Darüber hinaus wurde Farbe als Phänomen des Sehens und der Wahrnehmung über die Epochen der Kunst hinweg immer wieder neu hinsichtlich ihres Entstehens und ihrer Wirkung diskutiert und erforscht. Farbe als ein eigenständiges künstlerisches Thema entwickelte sich jedoch erst seit der Epoche des Impressionismus, verbunden mit den Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften, vor allem der Optik, der Physik, der Chemie und den biologischen und medizinischen Disziplinen.
Cézanne bereitete dann den Weg für viele Kunstrichtungen, Künstlergruppierungen und Ismen der Moderne, die sich alle dem Primat der Farbe verschrieben haben, der Befreiung der Farbe vom Gegenstand. Was in der Malerei schließlich die monochromen Werke entstehen ließ, führte in raumbezogener Hinsicht, beflügelt von den Entwicklungen der Lichttechnik, zu der Farb-Licht-Kunst der Gegenwart. Einen großen Anteil an der Entwicklung, die Farbe aus ihrer „dienenden“ Rolle zu befreien und ihr zu ihrem elementaren Recht zu verhelfen, eigenständiges Mittel der Gestaltung, der Formgebung und des Ausdrucks zu sein, hatte das Weimarer Bauhaus.
Neben den gestalterischen Fragestellungen erfuhren Licht und Farbe als optisch-physikalische Phänomene sowie Sehen und Wahrnehmung als physiologisch-psychologische Problemstellungen große Aufmerksamkeit. Im engen Austausch mit Naturwissenschaft und Technik entstanden nicht nur traditionsbildende Leitobjekte für Kunst und Gebrauch, sondern auch, häufig in Auseinandersetzung mit Goethes und Runges Farbenlehren, neue Farbtheorien und –lehren, die bis heute wirken.
In dieser Tradition steht Katrin Heesch, reiht sich ein in eine Riege namhafter Künstlerinnen und Künstler der Klassikerstadt und erweitert die Weimarer Farbtradition um ein neues Kapitel. Nicht nur ihre Farbkunstwerke begründen das, sondern auch, dass sie selbst, theoretisch fundiert, an einer eigenen Farbsystematik arbeitet, an einer Analyse von Farben und Farbwirkungen, an der Definition von Farbgruppen, von Harmonien und Disharmonien. Solcherart erschafft sie sich ihre eigene Systematik, die ihr als Grundlage ihrer Arbeit und ihres gesamten Werkes dient. In dieser Weise schreibt die Künstlerin, ob absichtsvoll oder unbeabsichtigt, das sei einmal dahingestellt, an der Farbtradition Weimars weiter.
Doch, bei aller systematischen und analytischen Strenge, die Künstlerin erhält sich die Freiheit, die Theorie als Richtschnur zu nehmen, sich ihre Systematik aber nicht zur Fessel werden zu lassen.
Das beschreibt die zwei Seiten der künstlerischen Qualität von Katrin Heesch: einerseits handelt sie analytisch, fragend, forschend, selbstkritisch, alle Entscheidungen, vor allem die der Farbauswahl überprüfend, andererseits intuitiv und mit schöpferischer Freiheit, auf das Entstehen des Bildes, auf die je sich neu bildende Farbkombination reagierend. Dieser eher spontanen Phase folgt dann wieder die distanzierte Beurteilung der Analytikerin, die Selbstreflexion. Ein stetes Wechselspiel, ein innerer Dialog also, der den Entstehungsprozess der Gemälde bestimmt und, gepaart mit einer großen Disziplin und Perfektion im Arbeitsprozess, die künftige Qualität der Bilder bestimmt. In den Werken schlägt sich diese dialogische Arbeitsweise spürbar nieder und fasziniert den Betrachter in vergleichbarer Weise, unmittelbar berührt zum einen und Erklärung suchend zum anderen.
Katrin Heesch eignet aber nicht nur eine große Sensibilität für Farben und deren Komposition, deren Wirkung und Ausstrahlung. Ihr eignet noch eine andere Fähigkeit, die konstitutiv ist für das Entstehen der Bilder: ihr intuitives und sicheres Gefühl für Zeit, für deren spannungsvolle Dynamik, für deren Polarität zwischen Ruhen und Fließen, zwischen Zeitpunkt und Zeitraum. Jedes der Werke benötigt, je nach Anzahl der neben- und übereinander aufgetragenen Farbschichten, eine sehr individuelle Zuwendung und insofern ein besonderes Maß an Zeit. Gefordert ist zudem stets das Wartenkönnen auf den bestimmten Zeitpunkt, der ein fruchtbares Weiterarbeiten erlaubt, gefordert ist Geduld – ein Partner der Zeit.
Der ausschlaggebende und somit zeitintensive Faktor im Kontext des Arbeitsprozesses kommt dem gewählten Malmaterial zu, also der Substanz, in die die Farbpigmente zur anwendbaren Farbe erst gebunden werden.
Katrin Heesch hat sich flüssigen Latex als Malmittel gewählt, den sie gemäß ihrer Systematik bzw. anhand ihrer Farbpalette einfärbt. Die aufbereiteten Latexfarben werden dann mit dem Pinsel auf die vorbereitete Leinwand aufgetragen. Doch nicht einfach so, intuitiv und in freier Geste, sondern nach einem ausgeklügelten Verfahren:
Parallele, jeweils mit Distanz zueinander über die gesamte Horizontale des Bildformats aufgelegte Klebestreifen aus Papier definieren das Breitenmaß der künftigen Farbstreifen. Auf diese schmale Fläche wird die nicht deckende, sondern lasierende Farbschicht aufgetragen, die dann jeweils erst trocknen muss, bevor sie erneut aufgebracht werden kann. Die Anzahl der Aufträge bei einem Farbstreifen definieren dessen Intensität der Farbigkeit, seine Leuchtkraft und Tiefe. Dann werden die Klebestreifen entfernt und an anderer Stelle für den nächsten Farbstreifen fixiert. Und so folgt Streifen auf Streifen, Farbauftrag auf Farbauftrag, eine langwierige und die Geduld auf den Prüfstand stellende Arbeitsweise, die höchste Genauigkeit, Sorgfalt und Präzision erfordert.
Die Farbstreifen liegen auf Grund des Stofflichen des Latexmaterials wie unter einem leichten Schleier, einer Art Weichzeichner oder Filter, der die Farben zu überdecken scheint; er erweckt den Eindruck, als ruhten die Farben unter einer schützenden Schicht. Gleichzeitig entstehen an den Grenzen der sich berührenden, teils sich überlagernden unterschiedlichen Farbstreifen wiederum neue Farben, die nicht stofflich gemischt sind, sondern durch die in den Streifen stattfindenden Reflexionen des auffallenden Lichts hervorgerufen werden. Die Farben manifestieren sich also in zweifacher Weise, materiell durch das Pigment und immateriell durch Licht.
Ein weiteres Phänomen, das die Bildoberfläche betrifft, rührt ebenfalls vom Latexmaterial her: ein leichtes Relief prägt die Haut der Gemälde und gibt ihnen dadurch einen zusätzlichen Reiz, es verführt gleichsam dazu, die Bilder ertasten zu wollen. Der Reliefcharakter entsteht dadurch, dass Latex als ein dickflüssiges Malmittel auch dann, wenn es getrocknet ist, erhaben auf der Fläche stehen bleibt. Und Heeschs Verfahren, die jeweiligen Farbstreifen zuerst durch die Papierbänder zu begrenzen und dann mit deren Entfernen sehr deutliche Kanten zu erzeugen, ruft mit der Überlagerung und Schichtung der folgenden Farbstreifen diese spezielle plastische Wirkung hervor.
Schrittweise entstehen so die Gemälde, häufig mehrere parallel, je mit anderen Farbakzenten. Und im oben beschriebenen intuitiv-analytischen Dialog mit den Farben entfalten sich die Gemälde, verändern sich unmerklich erst, dann aber deutlich gegenüber dem Entwurf, dem ursprünglichen Konzept. Die Farbe fordert ihr Recht und ihren Tribut gegenüber der Theorie.
Und bei aller Leichtigkeit, Heiterkeit und großen Harmonie, die die Werke von Katrin Heesch ausstrahlen, tragen sie doch immer auch viel von der Intensität und Dauer des Schaffensprozesses in sich. So erklärt es sich vielleicht auch, dass es Zeit erfordert, hinter das Geheimnis dieser Malerei zu kommen, die Werke der Malerin in adäquater Weise würdigen zu können.
Jedes Gemälde wird, wie jede Farbe und jede Farbmischung auch, in gesonderten Datenblättern und Tabellen aufgezeichnet und dokumentiert. Jede Farbe erthält ihre gesonderte Nummer, jede Farbmischung, die Katrin Heesch entwickelt, ihren gesonderten Code. Jedes Dokumentenblatt wird gesammelt, jede Farbe, jede Mischung abgefüllt und aufbewahrt. So entsteht mit den Werken ein spezielles Werkverzeichnis, mehr noch, ein schriftliches und stoffliches Archiv der Gemälde, eine zusätzliche Ebene der künstlerischen Arbeit.
Parallel dazu gibt es die theoretische Beschäftigung mit der Geschichte und Systematik der Farben, den Farb-, Kontrast- und Harmonielehren, den Farbklängen, Intensitätsstufen und Intervallen; auch dies wieder schriftlich dokumentiert durch Skizzen, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen. Alles dient der Auseinandersetzung mit dem Malprozess und der Analyse des Phänomens Farbe. Und die Ergebnisse der jeweiligen analytischen Prozesse finden dann ihren Niederschlag in den nachfolgenden Bildern.
Bestimmt wird alles letztendlich von dem Ziel, das gesamte malerische Vokabular zu verfeinern und auszubauen, das eigene Auge und die eigen Intuition weiter zu schulen und zu sensibilisieren sowie das kreative Potential immer und immer wieder herauszufordern, die erreichten Grenzen weiter und weiter zu stecken.
Die vorrangige Bedeutung des Ausdrucksreichtums dieser Bilder liegt dann auch darin, dass sie den Betrachter an einen Punkt zurückführt, den er lange schon verlassen, den er eigentlich mit dem Erwachsenwerden verloren hat: Farbe ganz unmittelbar und spielerisch als ein wesentliches, ein lebenswichtiges Medium wahrzunehmen, ein Medium für die Sinne.
Goethe bezeichnete die Farben als die Taten und die Leiden des Lichts. Das meint, Farben manifestieren sich als farbiges Licht und gleichzeitig als reflektierte Erscheinungen, aktiv und passiv als ein Phänomen im Wechselspiel zwischen Licht und Dunkel.
Weißes Licht birgt alle vom Menschen wahrnehmbaren Farben. Die Stoffe, aus denen die Welt besteht, reflektieren bestimmte Wellenlängen des Lichts und lassen die Dinge farbig erscheinen. Farben definieren somit das Dingliche und Wesenhafte der Welt, sie differenzieren, scheiden und strukturieren. So gesehen sind Farben Mittel der Ordnung und Systematisierung, im gesellschaftlichen Kontext auch ein Medium der Kommunikation; und im großen Maße ein Mittel kultureller und künstlerischer Äußerungen.
Die Aufmerksamkeit für Farben, eine angemessene Intensität ihrer Wahrnehmung bedarf, zumal heute in einer sehr bunten und sich farbig ungestaltet gebenden Welt, zunehmend der erfahrenen Schulung. Eine der Lehrerinnen, der Wegweiserinnen, die das Reich der Farben erschließen und vermittelnd zu einer neuen Sensibilisierung des Farbempfindens beitragen kann, ist die Künstlerin Katrin Heesch.
Dr. Konrad Scheurmann