Katrin Heesch malt Streifen. Das Sujet ist nicht neu, aber nie erreichte es diese Suggestivkraft und Tiefe. Die Künstlerin besitzt ein außerordentliches Farbgefühl, adäquat dem absoluten Gehör in der Musik. Die Technik kostet verschwenderisch viel Zeit. Ihre Malerei beruht auf komplexen Farb- und Harmoniemodellen, die sie seit ihrem Studium an der Bauhaus-Universität ständig weiterentwickelt. Jedes dieser Bilder ist eine Kostbarkeit und entführt seine Betrachter auf Reisen in Welten freier Assoziationen.

Dr. J. Rothamel, Galerist


Katrin Heesch - Text zur Ausstellung Katrin Heesch, Galerie Rothamel, Erfurt, 2007

Katrin Heesch zaubert. Wer sich Zeit für ihre Bilder nimmt, verfällt ihnen.

(...)  Ihre Farbspektren sind hochsensibel aufgebaut und virtuos komponiert. Sie wecken Assoziationsketten, sie aktivieren Erlebtes und Visionen. Seit zehn Jahren perfektioniert Heesch ihre Farbwirkungslehre. Ihre Werke werden immer komplexer, die Magie immer stärker. Heesch malt optische Rutschbahnen aus der Gegenwart in die eigene Phantasie.

Ihr Farbsinn ist phänomenal. Die Künstlerin mischt ihre Pigmente selbst an: Mehr als 100 Töne in fünf Abstufungen. Hunderte plastischer halbtransparenter Streifen, verschieden in Breite und Farbton, zeichnen das feine Relief ihrer Bilder. Jeder Streifen wird mehrfach aufgetragen. Diese Sorgfalt verlangt viel Zeit: Pro Jahr entstehen nicht mehr als sieben Werke.

Dr. J. Rothamel, Galerist


Konzentration und Verdichtung - zur Ausstellung Die Poesie der Ordnung, Galerie Corona Unger, Bremen, 2012

In Katrin Heeschs konzentrierten Gemälden treffen sich Ruhe und rätselhafte Tiefe ebenso wie eine scheinbar endlose Weite der Farbe, die förmlich zum Verweilen auffordert. Während der Betrachter der dichten Abfolge schmaler, horizontal übereinander geordneter Farbstreifen folgt und die eigenwilligen, ungerahmten Querformate gleichsam abtastet, nähert sich der Blick dem bemerkenswerten Relief der Bilder. In der Begegnung von Materialität und Farbsubstanz öffnet sich ein bewegender, systematisch gestaffelter Farbkosmos. Die Farben und Farbverläufe sind spannungsvoll angeordnet und aufeinander abgestimmt. Sie kontrastieren und korrespondieren zugleich miteinander. So scheinen die Bildflächen von Katrin Heeschs konzeptioneller Malerei im Rhythmus ihrer hellen und dunklen Nuancen, der intensiven und gedämpften Intervalle zu pulsieren. Ausgewogenheit, Klarheit und die immanente farbige Leuchtkraft verschmelzen zu Werken von besonderer Ausstrahlung.

Corona Unger, Galeristin


Kleine Paradiese - zur Ausstellung Die Sensibilität farbiger Intervalle, Galerie Corona Unger, Bremen, 2016

Katrin Heesch konzentriert sich auf eine Malerei, die mit Werken höchster Dichte und Sensibilität die Modulation abstrakter Farbflächen fokussiert. Den schimmernden, glänzend-pastosen Oberflächen ihrer in Latex gebunden Farben verleiht die Künstlerin eine besondere sinnliche Dimension. Indem sie das Licht zu verführerischen Reflexen einladen, üben sie auf das Auge eine enorme Anziehungskraft aus. Im oszillierenden Spiel zwischen der Materialität, Präsenz und Unmittelbarkeit des sinnlich Erlebbaren erschafft Katrin Heesch eine reich modulierte Palette intensiver und gedämpfter Töne, Transparenzen und Sättigungsstufen. Jede neue Mischung findet ihren Platz innerhalb eines stetig wachsenden Farbarchivs der Malerin. Ausgewogenheit, Klarheit und Leuchtkraft verschmelzen in ihren Bildern zu unbegrenzten Horizonten – zu Werken farbiger Schönheit, Varietät und Harmonie – zu "kleinen Paradiesen".

Corona Unger, Galeristin


Das Bauhaus kommt aus Weimar - zur Ausstellung im Goethe-Nationalmuseum Weimar, Klassik Stiftung Weimar, 2009

(...)

Die Künstlerin, Katrin Heesch, wurde in Kassel geboren. Früh fiel ihr außerordentlicher Sinn für Farbe auf. Schon als Kind unterschied sie Nuancen, die sonst kaum jemand bemerkte. Farbschattierungen konnte sie aus dem Gedächtnis rekapitulieren. Die angeborene Fähigkeit eines Menschen, die Höhe eines beliebigen gehörten Tons zu bestimmen und ihn innerhalb eines Tonsystems exakt einzuordnen, bezeichnet man als absolutes Gehör. Katrin Heesch verfügt über den absoluten Blick.

1994 nahm sie ein Studium der Freien Kunst an der Bauhaus-Universität in Weimar auf. (...) Während ringsum Installationen entstanden, definierte sie die Malerei und den Umgang mit Farbe für sich neu - zwei Jahrhunderte nach Goethes "Beiträgen zur Chromatik." Ihre Diplomausstellung im Schloss Belvedere ist an der Hochschule eine Legende. 

Heeschs opak schimmernden Streifenbilder bestehen aus mit Bindemittel angerührten Pigmenten. Jedes Werk setzt sich aus Hunderten farbiger Horizontalen zusammen, in mehrfachen Lagen übereinander gemalt, ein immenser technischer Aufwand. (....) Es geht um die Wechselwirkungen nicht nur benachbarter sondern aller Streifen auf einem Bild, um Dissonanzen und Harmonien, Übergänge und Dominanten. Darum, Kompositionen aus Hunderten verschiedener Farben auf ihre Wirkung hin zu kalkulieren. Aus einfachen Farbklängen entstehen Bilder, komplex wie Symphonien.

Der Verzicht auf vertikale Bildelemente löst bei den Betrachtern einen eigenartigen Effekt aus. Auf der Suche nach einem Fixpunkt bewegen die Pupillen sich unwillkürlich nach rechts und links, eine Art Flimmern, ein leichtes Schwindelgefühl, und die spezielle Farbstimmung des betrachteten Bildes ruft adäquate Bilder aus der Erinnerung auf. Sie stehen - mehr oder weniger deutlich - vor dem inneren Auge, während der Blick nach außen das Gemälde umfasst.

Hinter Katrin Heeschs Bildern stehen alle Bilder der Welt. Vor Zeiten hätte man diesen Effekt Magie genannt.


Dr. J. Rothamel, Galerist



Katrin Heesch – Katalogtext zur Ausstellung color continuo, TU Dresden, 2009


Wegweisungen im Kosmos der Farben – Zu Katrin Heeschs poetischen Farbschichtungen

Dem schnellen, auch dem immer schon wissenden und leichtfertig urteilenden, dem kategorisierenden und solchermaßen partiell blinden Blick wird nichts augenfällig. Er erreicht nicht einmal die Oberfläche der im ersten Moment so eindeutig erscheinenden, vermeintlich so einfach zu erklärenden Gemälde. Er wäre der erste Schritt zum Missverständnis einer Malerei voll rätselhafter Tiefe, beseelt von einer besonderen Ausstrahlung, die dann doch auch den Eiligen anhält zu verweilen, sich Zeit zu nehmen, sich den breitformatigen Flächen voll farbiger Streifen – sind es Muster? sind es Strichcodes? – zu nähern, sie zu entschlüsseln.

Der unbefangene Blick eines Flaneurs voll erwartungsloser Neugier ist vielleicht die angemessene Haltung, den Gemälden von Katrin Heesch zu begegnen, sich von ihnen überraschen und einfangen zu lassen.

Ein Spiel beginnt, das Sinne und Verstand gleichermaßen anregt, das Neugier weckt, das im Substantiellen, im Stofflichen, in der Materialität der Malmittel wie auch im Konzeptionellen der Malerei und der Ausformulierung der Bilder eine Menge an Überraschungen bereit hält, von denen das irritierend Gegensätzliche des „sofort klar erkennbar“ und des „was steckt eigentlich dahinter“ nur den ersten Schritt markiert, gleichsam die Eingangspforte öffnet zu einer Entdeckungsreise durch Katrin Heeschs Kosmos der Farben.

Eigenwillig extreme und zudem ungerahmte Querformate kontrastieren mit der Abfolge schmaler horizontal übereinander angeordneter Farbstreifen. Beide Richtungen, horizontal und vertikal, zwingen dem Auge anfänglich eine unstete Bewegung auf, veranlassen den Blick zu wandern, einen Fixpunkt zu suchen. Diesen konkreten Halt verweigern die Bilder jedoch, bieten aber, wenn man die Suche danach aufgegeben hat und das Auge zur Ruhe kommen lässt, einen Ruhepol eigener Art, der gleichsam in der Tiefe der Bilder liegt und, im metaphorischen Sinn, ihre Mitte darstellt.

Die Empfindung von Tiefe und endloser Weite kommt nicht von ungefähr, assoziiert man in vielen der Bilder doch so etwas wie einen in der Ferne liegenden Horizont, die Weite einer Landschaft oder eines Meeres, zumindest die eines wie auch immer gearteten Raumes. Ausgelöst wird die Tiefenempfindung von der Art, wie die Farben und Farbverläufe angeordnet und aufeinander abgestimmt sind und wie sie miteinander korrespondieren. So bilden sich Zonen der Helligkeit wie der Dunkelheit, Felder leuchtender und Felder gedämpfter Farbigkeit. Sanften Farbnuancen antworten Farbkontraste, die nach vorne drängenden Farben finden in denen, die in die Tiefe sinken, ihr Gegengewicht. Die Vielfalt farbiger Intervalle auf der Bildfläche, die im Bildraum zu pulsieren scheinen, verschmilzt im Kontext des betont horizontalen Formats und der vertikalen Staffelung der Farben zu einer Art schwingendem Gleichgewicht. So formt sich die besondere Mitte dieser Gemälde, ihre Ausgewogenheit, Klarheit und Ruhe. Und es bedarf eigentlich nicht der Assoziationen konkreter Dinglichkeit, von Landschaft oder Raum, um jenes Sinne und Wahrnehmung anregende Potential der Malerei von Katrin Heesch genießen zu können.

Gegenständliches erkennen und daraus Erklärungen und Interpretationen ableiten zu wollen, diese Betrachtungshaltung wäre nur eine Hilfskonstruktion, die von der eigentlichen Thematik der Bilder, der Farbe und ihrer Interaktion sowie ihrer ästhetisch-sinnlichen Qualität, ablenkt. Gegenständliche Festlegungen würden das freie und intensive Spiel der Farben gefrieren lassen.

Katrin Heeschs Bilder erfordern die Bereitschaft, vielleicht sogar Mut, sich auf die, im positiven Sinne, Bedeutungslosigkeit ihrer Werke einzulassen, auf erlernte Erklärungsmuster zu verzichten und sich am Beispiel dieser Bilder generell den Grundfragen der Malerei zu nähern, nämlich dem Agieren mit Farbe auf der Fläche und ihrer Formwerdung im Bildraum. Unbeschwert von Inhalten kann sich der Gehalt der Farbe entfalten, können die einzelnen malerischen Mittel und Schritte als schöpferische Elemente der Gesamtkomposition unmittelbar wahrgenommen werden.

Die drei „Wegmarken“, die Horizontale, die Vertikale und die in die Bildtiefe schwingenden Schichtungen und Modulationen, gleichsam das Spannungsfeld aus Vorder- und Hintergründigem, helfen bei diesem Wahrnehmungsprozess. Sie regen den Betrachter an, immer wieder einen Standortwechsel vorzunehmen, heran- und zurückzutreten, zu wechseln zwischen Nahsicht und Fernsicht. Sie halten ihn in der Schwebe zwischen Annäherung und Distanz, zwischen unmittelbarem Eintauchen und wissbegieriger Analyse. Denn das „Was ist zu sehen“ wird sofort begleitet von der neugierigen Frage „wie ist es entstanden“.

Doch der Blick auf das, was zu sehen ist und die Überlegung, wie es denn zu dem gekommen ist, was sich auf der Bildfläche ereignet, stellen nicht nur Fragen nach den Grundlagen der Malerei Katrin Heeschs, sie lenken generell den Blick auf eins der Leitthemen der Kunst, das seit der klassischen Moderne bis in die Gegenwartskunst virulent geblieben ist.

Seit Beginn künstlerischer Äußerungen dienen Farben dazu, die Welt der Dinge, der Wesen und der Phantasie abzubilden und erkennbar werden zu lassen sowie ihnen ihre Bedeutung und Deutung zuzuschreiben. Darüber hinaus wurde Farbe als Phänomen des Sehens und der Wahrnehmung über die Epochen der Kunst hinweg immer wieder neu hinsichtlich ihres Entstehens und ihrer Wirkung diskutiert und erforscht. Farbe als ein eigenständiges künstlerisches Thema entwickelte sich jedoch erst seit der Epoche des Impressionismus, verbunden mit den Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften, vor allem der Optik, der Physik, der Chemie und den biologischen und medizinischen Disziplinen.

Cézanne bereitete dann den Weg für viele Kunstrichtungen, Künstlergruppierungen und Ismen der Moderne, die sich alle dem Primat der Farbe verschrieben haben, der Befreiung der Farbe vom Gegenstand. Was in der Malerei schließlich die monochromen Werke entstehen ließ, führte in raumbezogener Hinsicht, beflügelt von den Entwicklungen der Lichttechnik, zu der Farb-Licht-Kunst der Gegenwart. Einen großen Anteil an der Entwicklung, die Farbe aus ihrer „dienenden“ Rolle zu befreien und ihr zu ihrem elementaren Recht zu verhelfen, eigenständiges Mittel der Gestaltung, der Formgebung und des Ausdrucks zu sein, hatte das Weimarer Bauhaus.

Neben den gestalterischen Fragestellungen erfuhren Licht und Farbe als optisch-physikalische Phänomene sowie Sehen und Wahrnehmung als physiologisch-psychologische Problemstellungen große Aufmerksamkeit. Im engen Austausch mit Naturwissenschaft und Technik entstanden nicht nur traditionsbildende Leitobjekte für Kunst und Gebrauch, sondern auch, häufig in Auseinandersetzung mit Goethes und Runges Farbenlehren, neue Farbtheorien und –lehren, die bis heute wirken.

In dieser Tradition steht Katrin Heesch, reiht sich ein in eine Riege namhafter Künstlerinnen und Künstler der Klassikerstadt und erweitert die Weimarer Farbtradition um ein neues Kapitel. Nicht nur ihre Farbkunstwerke begründen das, sondern auch, dass sie selbst, theoretisch fundiert, an einer eigenen Farbsystematik arbeitet, an einer Analyse von Farben und Farbwirkungen, an der Definition von Farbgruppen, von Harmonien und Disharmonien. Solcherart erschafft sie sich ihre eigene Systematik, die ihr als Grundlage ihrer Arbeit und ihres gesamten Werkes dient. In dieser Weise schreibt die Künstlerin, ob absichtsvoll oder unbeabsichtigt, das sei einmal dahingestellt, an der Farbtradition Weimars weiter.

Doch, bei aller systematischen und analytischen Strenge, die Künstlerin erhält sich die Freiheit, die Theorie als Richtschnur zu nehmen, sich ihre Systematik aber nicht zur Fessel werden zu lassen.

Das beschreibt die zwei Seiten der künstlerischen Qualität von Katrin Heesch: einerseits handelt sie analytisch, fragend, forschend, selbstkritisch, alle Entscheidungen, vor allem die der Farbauswahl überprüfend, andererseits intuitiv und mit schöpferischer Freiheit, auf das Entstehen des Bildes, auf die je sich neu bildende Farbkombination reagierend. Dieser eher spontanen Phase folgt dann wieder die distanzierte Beurteilung der Analytikerin, die Selbstreflexion. Ein stetes Wechselspiel, ein innerer Dialog also, der den Entstehungsprozess der Gemälde bestimmt und, gepaart mit einer großen Disziplin und Perfektion im Arbeitsprozess, die künftige Qualität der Bilder bestimmt. In den Werken schlägt sich diese dialogische Arbeitsweise spürbar nieder und fasziniert den Betrachter in vergleichbarer Weise, unmittelbar berührt zum einen und Erklärung suchend zum anderen.

Katrin Heesch eignet aber nicht nur eine große Sensibilität für Farben und deren Komposition, deren Wirkung und Ausstrahlung. Ihr eignet noch eine andere Fähigkeit, die konstitutiv ist für das Entstehen der Bilder: ihr intuitives und sicheres Gefühl für Zeit, für deren spannungsvolle Dynamik, für deren Polarität zwischen Ruhen und Fließen, zwischen Zeitpunkt und Zeitraum. Jedes der Werke benötigt, je nach Anzahl der neben- und übereinander aufgetragenen Farbschichten, eine sehr individuelle Zuwendung und insofern ein besonderes Maß an Zeit. Gefordert ist zudem stets das Wartenkönnen auf den bestimmten Zeitpunkt, der ein fruchtbares Weiterarbeiten erlaubt, gefordert ist Geduld – ein Partner der Zeit.

Der ausschlaggebende und somit zeitintensive Faktor im Kontext des Arbeitsprozesses kommt dem gewählten Malmaterial zu, also der Substanz, in die die Farbpigmente zur anwendbaren Farbe erst gebunden werden.

Katrin Heesch hat sich flüssigen Latex als Malmittel gewählt, den sie gemäß ihrer Systematik bzw. anhand ihrer Farbpalette einfärbt. Die aufbereiteten Latexfarben werden dann mit dem Pinsel auf die vorbereitete Leinwand aufgetragen. Doch nicht einfach so, intuitiv und in freier Geste, sondern nach einem ausgeklügelten Verfahren:

Parallele, jeweils mit Distanz zueinander über die gesamte Horizontale des Bildformats aufgelegte Klebestreifen aus Papier definieren das Breitenmaß der künftigen Farbstreifen. Auf diese schmale Fläche wird die nicht deckende, sondern lasierende Farbschicht aufgetragen, die dann jeweils erst trocknen muss, bevor sie erneut aufgebracht werden kann. Die Anzahl der Aufträge bei einem Farbstreifen definieren dessen Intensität der Farbigkeit, seine Leuchtkraft und Tiefe. Dann werden die Klebestreifen entfernt und an anderer Stelle für den nächsten Farbstreifen fixiert. Und so folgt Streifen auf Streifen, Farbauftrag auf Farbauftrag, eine langwierige und die Geduld auf den Prüfstand stellende Arbeitsweise, die höchste Genauigkeit, Sorgfalt und Präzision erfordert.

Die Farbstreifen liegen auf Grund des Stofflichen des Latexmaterials wie unter einem leichten Schleier, einer Art Weichzeichner oder Filter, der die Farben zu überdecken scheint; er erweckt den Eindruck, als ruhten die Farben unter einer schützenden Schicht. Gleichzeitig entstehen an den Grenzen der sich berührenden, teils sich überlagernden unterschiedlichen Farbstreifen wiederum neue Farben, die nicht stofflich gemischt sind, sondern durch die in den Streifen stattfindenden Reflexionen des auffallenden Lichts hervorgerufen werden. Die Farben manifestieren sich also in zweifacher Weise, materiell durch das Pigment und immateriell durch Licht.

Ein weiteres Phänomen, das die Bildoberfläche betrifft, rührt ebenfalls vom Latexmaterial her: ein leichtes Relief prägt die Haut der Gemälde und gibt ihnen dadurch einen zusätzlichen Reiz, es verführt gleichsam dazu, die Bilder ertasten zu wollen. Der Reliefcharakter entsteht dadurch, dass Latex als ein dickflüssiges Malmittel auch dann, wenn es getrocknet ist, erhaben auf der Fläche stehen bleibt. Und Heeschs Verfahren, die jeweiligen Farbstreifen zuerst durch die Papierbänder zu begrenzen und dann mit deren Entfernen sehr deutliche Kanten zu erzeugen, ruft mit der Überlagerung und Schichtung der folgenden Farbstreifen diese spezielle plastische Wirkung hervor.

Schrittweise entstehen so die Gemälde, häufig mehrere parallel, je mit anderen Farbakzenten. Und im oben beschriebenen intuitiv-analytischen Dialog mit den Farben entfalten sich die Gemälde, verändern sich unmerklich erst, dann aber deutlich gegenüber dem Entwurf, dem ursprünglichen Konzept. Die Farbe fordert ihr Recht und ihren Tribut gegenüber der Theorie.

Und bei aller Leichtigkeit, Heiterkeit und großen Harmonie, die die Werke von Katrin Heesch ausstrahlen, tragen sie doch immer auch viel von der Intensität und Dauer des Schaffensprozesses in sich. So erklärt es sich vielleicht auch, dass es Zeit erfordert, hinter das Geheimnis dieser Malerei zu kommen, die Werke der Malerin in adäquater Weise würdigen zu können.

Jedes Gemälde wird, wie jede Farbe und jede Farbmischung auch, in gesonderten Datenblättern und Tabellen aufgezeichnet und dokumentiert. Jede Farbe erthält ihre gesonderte Nummer, jede Farbmischung, die Katrin Heesch entwickelt, ihren gesonderten Code. Jedes Dokumentenblatt wird gesammelt, jede Farbe, jede Mischung abgefüllt und aufbewahrt. So entsteht mit den Werken ein spezielles Werkverzeichnis, mehr noch, ein schriftliches und stoffliches Archiv der Gemälde, eine zusätzliche Ebene der künstlerischen Arbeit.

Parallel dazu gibt es die theoretische Beschäftigung mit der Geschichte und Systematik der Farben, den Farb-, Kontrast- und Harmonielehren, den Farbklängen, Intensitätsstufen und Intervallen; auch dies wieder schriftlich dokumentiert durch Skizzen, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen. Alles dient der Auseinandersetzung mit dem Malprozess und der Analyse des Phänomens Farbe. Und die Ergebnisse der jeweiligen analytischen Prozesse finden dann ihren Niederschlag in den nachfolgenden Bildern.

Bestimmt wird alles letztendlich von dem Ziel, das gesamte malerische Vokabular zu verfeinern und auszubauen, das eigene Auge und die eigen Intuition weiter zu schulen und zu sensibilisieren sowie das kreative Potential immer und immer wieder herauszufordern, die erreichten Grenzen weiter und weiter zu stecken.

Die vorrangige Bedeutung des Ausdrucksreichtums dieser Bilder liegt dann auch darin, dass sie den Betrachter an einen Punkt zurückführt, den er lange schon verlassen, den er eigentlich mit dem Erwachsenwerden verloren hat: Farbe ganz unmittelbar und spielerisch als ein wesentliches, ein lebenswichtiges Medium wahrzunehmen, ein Medium für die Sinne.

Goethe bezeichnete die Farben als die Taten und die Leiden des Lichts. Das meint, Farben manifestieren sich als farbiges Licht und gleichzeitig als reflektierte Erscheinungen, aktiv und passiv als ein Phänomen im Wechselspiel zwischen Licht und Dunkel.

Weißes Licht birgt alle vom Menschen wahrnehmbaren Farben. Die Stoffe, aus denen die Welt besteht, reflektieren bestimmte Wellenlängen des Lichts und lassen die Dinge farbig erscheinen. Farben definieren somit das Dingliche und Wesenhafte der Welt, sie differenzieren, scheiden und strukturieren. So gesehen sind Farben Mittel der Ordnung und Systematisierung, im gesellschaftlichen Kontext auch ein Medium der Kommunikation; und im großen Maße ein Mittel kultureller und künstlerischer Äußerungen.

Die Aufmerksamkeit für Farben, eine angemessene Intensität ihrer Wahrnehmung bedarf, zumal heute in einer sehr bunten und sich farbig ungestaltet gebenden Welt, zunehmend der erfahrenen Schulung. Eine der Lehrerinnen, der Wegweiserinnen, die das Reich der Farben erschließen und vermittelnd zu einer neuen Sensibilisierung des Farbempfindens beitragen kann, ist die Künstlerin Katrin Heesch.

Dr. Konrad Scheurmann


zur Ausstellung Jenseits der Projekte, Universitätsgalerie im ACC Weimar, 2001

Dass Poesie und Systematik sich nicht ausschließen müssen, beweisen die Streifenbilder von Katrin Heesch. Sie scheint von Beidem gleichermaßen durchdrungen zu sein und lässt in einem zeitaufwendigen Prozess Bilder von faszinierender Ausstrahlung entstehen. Die Exaktheit in der technischen Ausführung, die millimetergenaue Parallelität der Streifen und die erstaunliche Beherrschung des Materials stellen nur das vermeintlich Einzigartige dieser Arbeit dar. Die hier offensichtlich vorgetragene Klarheit setzt sich in dem Streben nach der vollkommenen Farbanordnung fort. Das Abstreifen von allem Überflüssigen bei gleichzeitigem Erkennen des Notwendigen wird mit jedem hinzukommenden Streifen neu demonstriert. Die Bilder sind entgegen vielen Vermutungen nicht als Illustration mathematischer Phänomene zu verstehen sondern das Produkt einer beständigen Wechselwirkung zwischen Künstler und Werk. Jeder Streifen markiert eine Entscheidung auf dem Weg zu reiner Poesie, zur Genauigkeit hinter der Technik. Neben der Genauigkeit, die bei der Herstellung der Bilder von großer Bedeutung ist und die sich am Ende in beeindruckender Weise in den Strukturen des Bildes abzeichnet, muss die Dimension der Zeit als weiteres charakteristisches Merkmal genannt werden. Es gibt wenige Künstler, die ihren Bildern ein solch hohes Pensum an Zeit widmen und noch weniger Bilder, in denen sich diese Strukturen auch ablesen lassen. Doch die Zeit scheint nicht als unendlich vorhandene Ressource behandelt und beliebig verschwendet zu werden. Die Künstlerin erreicht durch die Mittel der Konzentration, der Disziplin und der Geduld ein Optimum an Effektivität. Das Planvolle und zugleich Offene entspricht der Person Katrin Heesch, sie scheint mit den Streifenbildern ein äußeres Original ihrer Selbst gefunden zu haben.


C. Andersen, 2001


Atelierbesuch


Wem es erlaubt ist, einen Einblick in das künstlerische Schaffen von Katrin Heesch zu erhalten, darf sich glücklich schätzen. Denn sie verwaltet ihre Lebenszeit mit ungewöhnlicher Disziplin. Eine Arbeitswoche von 6 Tagen a 8 Stunden sind die Regel und lässt mein erstes Vorurteil über Künstler zerschellen. Beim Betreten des Ateliers offenbart sich mein zweiter Irrtum. Die romantische Vorstellung eines farbverschmierten, nach Terpentin riechenden Raumes, in dem sich zerdrückte Farbtuben auf staubigen, lange nicht mehr benutzten Tischen tummeln, muss ich ebenso fallen lassen. Stattdessen stehe ich vor einem flachen Stahlregal mit mindestens 30 gleichartigen Boxen, welche durch am Computer entstandene Aufkleber ihren Inhalt preisgeben. Beim Durchlesen der Etiketten bewegt sich mein Horizont ein weiteres Mal nach hinten, war mir doch nicht bewusst, dass Malerinnen Epoxydharzklebstoffe, Styrodurplatten und Spezialschrauben benötigen.
In dem 16 Meter langen Atelier sind mehrere große Arbeitsplatten aufgebaut auf denen die Bilder in unterschiedlich fortgeschrittenen Zuständen auf die Künstlerin warten. Der Weg von der grundierten Leinwand bis hin zum fertigen Bild scheint mir nun noch mehr in den Bereich der Wunder zu gehören.
Es ist nur eine Frage der Geduld, höre ich Katrin Heesch sagen, als ich meine Augen nicht mehr von Bild 434 abwenden kann. Dass dies eine leichte Untertreibung der zu dieser Arbeit notwendigen Fähigkeiten ist, wird selbst mir sofort klar. Sie erklärt mir ruhig die technischen Schritte der Herstellung und versucht zu beschreiben, mit welcher Absicht sie diese Methode entwickelt hat.
Sie sei fasziniert von der Wechselwirkung der Farben untereinander und der Frage, ob es möglich sei eine Oberfläche zu schaffen, welche eine ganz besondere Atmosphäre in den Raum tragen kann. “Die Stimmung, die ich bemüht bin zu erzeugen ist vielleicht am ehesten vergleichbar mit einer Ideallandschaft. Es soll ein Nebeneinander von Weite und Geborgenheit, eine Gleichzeitigkeit von Dichte und Klarheit entstehen. Da ich aus der Malerei komme liegt es nah, Farben als Versuchselemente zu nehmen. Mich interessiert, in welcher Weise Elemente angeordnet werden müssen um ein Paradies zu erzeugen.” Es ginge um das Gelingen von etwas durch Organisation der Teile. Die Wahl von Streifen als Ausdrucksmittel führt sie auf den Wunsch zurück, die Beliebigkeit zu minimieren und laborähnliche Bedingungen für die Analyse zu erhalten. So könne nur noch die Position, die Breite und der Farbton variiert werden und sie käme schneller zu Ergebnissen das Verhalten der Farben untereinander betreffend. “Trotz der auf wenige Variablen festgelegten Bedingungen entwickelt sich im Laufe des Herstellungsprozesses ein komplexes System von Wechselwirkungen. Ich bin gleichzeitig Beobachter und Entscheidungsträger. Um das von mir angestrebte Optimum zu erreichen, ist es notwendig immer mehr Beobachtungen anzustellen. Diese Beobachtungen fließen sowohl in den nächsten Streifen als auch in die Vorstellung neuer Bilder ein. Es geht um die Schaffung von Bedingungen für die Herstellung komplexer Systeme, deren Selbstorganisation und deren Gelingen”. Aha!
Das durch Butterbrotpapier gedämpfte Sonnenlicht breitet sich auf den Bildern aus. Ihre seidig glänzende Oberfläche mit den unzähligen Farbnuancen, die Genauigkeit der Streifen und ihre unfehlbare Anordnung bestätigen das Vorgetragene auf beeindruckende Weise. Meine nächste Frage gilt der Empfindlichkeit der Bilder und wie sie transportiert werden können. Es muss nicht erwähnt werden, dass ich während der Beantwortung ein weiteres Vorurteil aufgeben kann. Denn Katrin Heesch malt nicht nur diese herrlich himmlischen Bilder, sondern baut auch für jedes dieser Kostbarkeiten eine eigene Verpackung. Die Systematik in der Arbeitsweise erlebt in der Frage nach der optimalen Verpackungslösung ihre logische Fortsetzung. Auch die unbedingte Investition von Zeit als einzige Ressource, die der Künstler kostenlos zur Verfügung hat, wird hier konsequent vorgeführt. 
Seltsamerweise schreckt mich angesichts dieser wunderbaren Ergebnisse die anfangs als steril empfundene Atmosphäre nicht mehr ab und ich beginne zu verstehen, dass Organisation, Systematik und Disziplin zumindest in diesem Atelier zur Grundausstattung gehören. “Geht die Liebe zur Arbeit nicht zu weit?” höre ich mich fragen. Liebe könne niemals zu weit gehen und sie erinnert sich an das Zitat eines Künstlers, der folgendes meinte: Wer den Beruf eines Künstlers gewählt hat, muss sich von dem was er sonst als Mensch sein könnte, verabschieden.
Ich verlasse das Atelier mit der Erkenntnis, dass alles doch ganz anders sein kann und dass sich viele Dinge nicht gegenseitig ausschließen müssen. Die von jedem gestellte Frage, ob man davon leben kann, habe ich ganz vergessen. Selbst wenn sie diese mit nein beantwortet hätte, ich wäre mir sicher, die Ursachen lägen nicht bei ihr. Auf dem Weg zum Ausgang gehe ich an einer Unmenge von Zetteln vorbei, auf denen Tabellen erkennbar sind. Meine Neugier zwingt mich zum Verharren und eröffnet mir ein weiteres Feld ihrer Arbeit. In mindestens 10 verschiedenen Ansätzen wird dort der Versuch unternommen, einen nachvollziehbaren Preis zu ermitteln. Ich kann entnehmen, wie viele Arbeitsstunden sie in Bild 347 investiert hat, wie viel Rollen Klebeband insgesamt verbraucht wurden, wie viel Material ein Streifenmeter kostet usw... Ich bin froh, dass sie mir eine Stunde Zeit geschenkt hat und nehme mir vor, jeden Tag ein wenig Geld zurückzulegen, um irgendwann ein kleines Stück ihres Paradieses mein Eigen nennen zu können.


2006, ein großer Fan


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