2000, Diplomausstellung, Schloss Belvedere, Weimar
Auszüge aus dem Diplomtext
Im Folgenden beschreibe ich den Teil der Bildwerke, der sich aus der laufenden Produktion meiner Latexbilder zusammensetzen wird.
Die während des Studiums von mir entwickelte Methode zur Herstellung dieser Bildflächen greift auf die Ausgangsmaterialien Keilrahmen, Leinwand, Latex und Farbstoff zurück.
Der sich durchschnittlich 215 x wiederholende Vorgang des Farbauftrags erfolgt bei horizontaler Lage des Bildes und geschieht streifenweise durch Abkleben von Zwischenräumen.
Das Klebeband wird vor der Trocknung vom Bildträger abgezogen, und stellt sicher, dass die Farbstreifen exakte Kanten haben. Farbton, Breite und Position der ausschließlich horizontalen Streifen werden empfindungsmäßig bestimmt und im Nachhinein notiert. Die aktuelle Farbpalette ergibt sich aus einem eigens für die Streifenbilder entwickelten Mischsystem aus 8 Grundfarben, woraus ich unter Zusatz von Latex farblos 92 halbtransparente Farbtöne herstelle.
Des Weiteren sind folgende Mischungen zwischen Latex farblos und Latex weiß in Verwendung:
A=Latex farblos, B=Latex farblos +1 weiß, C=Latex farblos +2 weiß, D=Latex weiß +1 farblos
Jeder hinzukommende Farbton tritt in Wechselwirkung mit weiteren parallel verlaufenden Streifen, die sich entweder darüber, darunter oder daneben befinden. Durch die bis zu 388 Streifen unterschiedlicher Breite ergibt sich eine hohe Variabilität der Farbe, sowie ein feines Relief; Faktoren, die den Eindruck von Fülle vermitteln.
Als eine Eigenart der Streifenbilder sehe ich die Tatsache an, dass ein exakt koordiniertes Zusammenwirken von Rationalität und Intuiton stattfindet und das Wesen dieser Malerei in hohem Maße bestimmt.
Die sich aus den Bedingungen des Materials ergebene Grundstruktur wird beibehalten und in jedem Bild neu variiert.
Durch die selbst gesetzten Vorgaben kann ein Höchstmaß an Dichte erreicht werden, die vermeintliche Enge des Spielraums führt zu einer Weiterentwicklung in die Tiefe.
Der scheinbare Vorrang von Systematik und Rationalität wird bei näherer Betrachtung ausgeräumt, stattdessen stellt sich die Intuiton als verborgenes Zentrum heraus.
Dieser Teil der Arbeit ist im Grunde der mächtigste von allen, ich bezeichne ihn als zwischen den beiden anderen Geborgenen.
Das System der Materialvorgaben, der Verabredungen in der Form, als auch die statistische Erfassung des Malvorgangs dienen dazu, das Wichtigste und in der Mitte stehende zu Präzision und Klarheit zu führen.
Der Sinn der Beschränkung liegt in dem Streben nach Konzentration, nicht nach Zerstreuung der Energie. Das Gefühl als Antrieb wird in Bahnen gelenkt und punktgenau eingesetzt.
Wichtig für die ständige Optimierung der Streifenbilder ist das Ineinanderwirken der verschiedenen Bereiche und ihre gegenseitige Einflussnahme. Das System der selbst gesetzten Bedingungen ist von dynamischer Natur und erfährt genauso Veränderungen hin zu mehr Klarheit.
Die Palette der Farben unterliegt einer ständigen Prüfung und wird den Anforderungen angepasst.
Auch die Materialkette, sowie die Vorgabe der Form sind nicht zwangsläufig statische Parameter, sondern folgen in gleichem Maße dem Anspruch, Bedeutungsloses von Bedeutungsvollem zu trennen, um dem Gesamtwerk mehr Prägnanz zu verleihen.
Die Ordnung ist also nicht von außen auferlegt, sondern ergibt sich in dynamischer Weise aus der Interaktion mit dem Gegenstand.
Vor jedem Setzen der Streifen wird mir das Vorhandensein der unendlichen Möglichkeiten bewusst. Mein Bestreben geht dahin, diese Kontingenz handhaben zu können und der sich mir bietenden Freiheit etwas entgegenzusetzen, was anders nicht sein kann.
Die jeweilige Farbe an dem jeweiligen Ort ergibt sich aus einer Notwendigkeit, sie erklärt sich aus der Beziehung zu den anderen Teilen des Bildes und wird so ihrer Beliebigkeit enthoben.
In kleinen Schritten findet eine Organisation der Teile zu einem Ganzen statt.
Diese Organisation dient der Klärung, Intensivierung und Konzentration des Ausdrucks.
Ein weiteres Merkmal der Streifenbilder ist die Tatsache, dass sie meiner Beobachtung nach kein Zentrum im herkömmlichen Sinne erkennen lassen.
Sie bieten im Gegenteil unzählige Horizonte an. Der Mittelpunkt ist man immer selbst, und der Radius, den man fähig ist zu ziehen, der eigene Horizont.
Als Besonderheit fällt mir auf, dass die Unmenge an Horizontalen, die sich vor einem ausbreiten in keiner Weise eine Störung erfahren.
Es findet weder eine gegenseitige Behinderung der Streifen statt, noch tauchen fremde Hindernisse in der Bildfläche auf.
Sowohl der Versuch, Schwerpunkte zu vermeiden, als auch die Absicht, ein gleichmäßiges Vor- und Zurückweichen der Farben zu erreichen, sollen Harmonie und Dynamik in gleichem Maße befördern.
Die horizontale Ausrichtung der Streifen unterstützt für mich nicht nur den Eindruck von Klarheit und Ordnung, sondern kann in gleicher Weise Geborgenheit und Sicherheit vermitteln.
Durch die hohe Transparenz der Farben, sowie durch die Verwendung von pastellartigen Tönen, bleibt eine konstante Helligkeit und Leichtigkeit erhalten.
Die Abwesenheit von Schwarz betont den himmlischen Charakter der Bilder und verwehrt dem Irdischen, Dunklen, Gebrochenen den Zugang.
Aufgrund der genannten Eigenschaften erklärt sich für mich die die optimistische Grundstimmung der Bilder, sie erscheinen zart und stabil zugleich.
Die sich daraus ergebende Atmosphäre von Sorglosigkeit kann jedoch nur durch das Aufbringen von ständiger Sorge und Sorgfalt erreicht werden.
Eine wichtige Größe in diesem Zusammenhang ist die Zeit.
In einem immer gleich bleibenden Prozess der Herstellung finden die Bilder Schicht für Schicht ihre endgültige Form.
Der ursprüngliche Vorgang des Malens im Sinne von Aufstreichen, bleibt trotz meiner systematisierten Vorgehensweise Kern der Arbeit.
In gewissem Sinne ähnelt diese Form der Malerei der Ausführung einer rituellen Handlung.
Durch die Mittel der Wiederholung, der Konzentration und der Achtsamkeit kann mit jedem hinzukommenden Streifen eine weitere Stufe hin zu mehr Transzendenz genommen werden.
Es findet demnach nicht nur eine Organisation des Materials und des Arbeitsraumes statt, sondern genauso eine Organisation der Zeit in geordnete Segmente.
Dieser Umgang mit Zeit findet Ausdruck im Aufbau der Bildflächen, die organisierte Ablagerung der Zeit zeigt sich in den entstehenden Strukturen des Materials.
In diesem Vorgang der Veredelung werden aus amorphen Zuständen systematische Einheiten gemacht.
Doch nicht nur das äußere Material begibt sich in eine gewisse ihm entsprechende Form, sondern genauso entwickelt sich mein inneres Material hin zu mehr Transparenz.
Die anfangs ungelenkt und diffus vorhandenen Gefühle und Absichten werden in Auseinandersetzung mit dem Material in einen geordneten Zustand gebracht und durch die Einbettung in ein sinnlich erfassbares Endprodukt in konzentrierter Weise zur Sichtbarkeit geführt.
Die dafür notwendigen Verhaltensweisen, das Etablieren und Aufrechterhalten von Disziplin, Ordnung und System gehen in meine Persönlichkeitsstrukturen ein.
Fakt ist auch hier, dass das Material mich nicht in eine unpassende, aufgezwungene Form drängt, sondern das es sich an den schon vorhandenen Eigenschaften orientiert.
Das bedeutet, dass die Auseinandersetzung mit dem Material nicht nur zu einem Qualitätserzeugnis führt, sondern zu mehreren.
Das Material feilt genauso an meiner Identität, wie ich am Material.
Ziel ist, ein Optimum an Prägnanz im Ausdruck zu erreichen.
Die gegenseitige Herausforderung führt zum Sichtbarwerden der einzig möglichen Formen, die entstehen können wenn Autor x sich mit Material x einlässt.
Die richtige Anordnung der mir zur Verfügung stehenden Elemente, die gelungene Interaktion der Farben kann ein harmonisches Ganzes entstehen lassen.
Dabei besteht die Notwendigkeit, die zu bearbeitende Fläche bis ins Detail zu organisieren.
Die Vollkommenheit im Großen kann sich nur aus vollendeten Teilen zusammensetzen.
Es ist möglich, seinen Blick zu fokussieren und vom Gesamtbild in einzelne Bereiche zu tauchen, immer wird sich ein kleines vollkommenes Universum abzeichnen.
Geht man über die Teile, die das Bild zusammenhalten hinaus, so eröffnet sich der Raum.
Die in dem abgegrenzten Bereich erarbeitete Fähigkeit will ich von der Fläche in die Umwelt erweitern. Hier muss die Atmosphäre der Objekte in Beziehung gesetzt zum Raum ein harmonisches Ineinanderwirken erzeugen.
Sowie in den Bildern das Gefühl der heiteren Ruhe nur dann erreicht werden kann, wenn die einzelnen Teile in einem entsprechenden Verhältnis zueinander stehen, wenn sie eine Einheit in der Vielheit bilden, so soll auch der Raum mit den darin enthaltenen Elementen eine qualitative Einheit bilden.
Auch auf dieser Ebene geht es um Kommunikation und um Wahrnehmung des noch vorhandenen.
Meiner Ansicht nach repräsentiert die Vorstellung vom Paradies oder der sogenannten Ideallandschaft in hohem Maße den oben genannten Zustand der Einheit.
In solchen Naturräumen werden optimale Bedingungen für das menschliche Wohlbefinden bereitgestellt.
Nach zahlreichen Beschreibungen zeichnet sich eine derartige Landschaft durch den Wechsel von lichten Wäldern, offenen Grünflächen, weichen Hügeln und Wasserläufen aus.
Das Weite, aber trotzdem Geborgenheit bietende, das Differenzierte, aber doch Überschaubare, führt zu einer aufhellenden Wirkung auf das Gemüt, stimmt uns froh und ausgeglichen.
Beim Ermitteln dieser Charakteristika zeigte sich für mich eine Verbindung zu meiner Arbeit.
Die in den Bildern erfahrenen Qualitäten versuche ich, in die Ausstellungsarchitektur einfließen zu lassen.
Meine Aufgabe wird sein, ein Raumgefüge zu schaffen, welches Klarheit und Konzentration in gleichem Maße verkörpert. Sowie ein Bild Weite und Dichte in sich vereinen sollte, so muss eine Ausstellung dem Raum Fülle geben und ihm zugleich ein Mehr an Offenheit verleihen.
Die Klarheit darf sich nicht aus der Einfachheit der Form ergeben, sondern aus einer optimalen Organisation der Teile.
Das ursprüngliche Vorhaben, Pflanzen in den Ausstellungsraum zu integrieren, lädt dazu ein, einen Vergleich zwischen lebendigen Organismen und künstlich gebildeten Objekten anzustellen.
Während die Pflanzen nach einem festgelegten, inneren Plan wachsen, wird der Aufbau des Bildes schrittweise entschieden und unterliegt neben materialbedingten Notwendigkeiten, den Absichten des Künstlers.
Doch die natürlich gewachsene, als auch die künstlich geschaffene Form basieren auf der Organisation von Elementen oder Energien nach bestimmten Prinzipien.
Beiden ist eine hohe Variabilität bei gleichzeitig großem Wiedererkennungswert zu Eigen.
Sowohl im Vegetativen, als auch im Artifiziellen ist eine bis ins Detail beibehaltene Ordnung zu beobachten, deren Formgesetze hauptsächlich auf Rhythmus, Symmetrie sowie dem Seriellen beruhen.
Auffallend ist das gleichzeitige Auftreten von Ordnung und Variation, bzw. ihre gegenseitige Durchdringung.
Jeder Organismus verlangt ebenso nach Mannigfaltigkeit, wie nach Ordnung;
der Prozess organischen Lebens wird von Biologen als geordnete Variation beschrieben.
Die Vielfalt der Evolution ergibt sich nicht durch ständig neue Erfindungen, sondern durch Abwandlung einmal eingeführter Grundprinzipien.
Eigenschaften wie Fülle, verdichtete Präsenz, Überfluss auf der einen Seite und Einfachheit, Klarheit und Ordnung auf der anderen Seite können daher in gleichem Maße das Wesen des Organismus bzw. des Kunstwerkes bestimmen.
Zudem wohnt beiden Systemen das Charakteristikum inne, auf Wahrnehmung hin ausgerichtet zu sein. Die Funktion der Bilder, als auch die der Pflanzen, besteht zu einem Teil darin, in Kommunikation mit der Umwelt treten zu wollen.
Sie stellen eine ästhetische Oberfläche dar, die sich bis zum Optimum versucht hat, zu entfalten. Jede Pflanze ist das sichtbare Produkt der beständigen Wechselbeziehung zwischen ihr und der Außenwelt.
Im Gebiet der Evolutionswissenschaften spricht man davon, dass es an der Reibung und am Energieaustausch mit der Umwelt liegt, dass Struktur entstehen kann.
Nur durch die eintretende Harmonie mit der Umgebung, durch ihre exakte Platzierung im Ökosystem erhält die Pflanze ihre Daseinsberechtigung.
Durch die Wahl der Orangerieanlage als Ausstellungsort fügt sich ein spezifizierter Bereich von Natur in die allgemeine Betrachtung ein. Das Gebiet der Botanik korrespondiert hier mit dem Wunsch, eine für den Menschen erbauende Atmosphäre zu gestalten.
Unter hohem Zeit- und Arbeitsaufwand werden die Pflanzen in Form gebracht und nur durch beständige Pflege kann eine Aufrechterhaltung des Zustandes von zivilisierter Natur gewährleistet werden.
Die Natur als unendlich weites Feld erfährt in Wechselwirkung mit bestimmten menschlichen Absichten den Prozess einer Formfindung. Dieser ist geprägt durch Selektion, Organisation und Konzentration.
Das Interessante an dieser Vorstellung von Formfindung ist das Phänomen, dass sich die große Dichotomie im Kleinen fortsetzt. Der beständige Konflikt oder Dialog zwischen Natur und System findet genauso im Autor selbst statt, und die Natur als einzeln betrachtetes Gebiet enthält in sich wiederum die Tendenz zur Stilisierung und Systematisierung.
Die Form als Produkt des Wechselspiels zwischen Natur und System vereint schon aufgrund ihrer Entstehung beide Seiten.
Aus diesen Beobachtungen geht für mich hervor, dass der Vorgang der Formfindung ein dynamischer sein muss, bei dem jedes kleine Teil Träger der immergleichen Auseinandersetzung ist.